Die Zahl der Krankenhausfälle und der jeweils abgerechnete Schweregrad steigen scheinbar unaufhaltsam. Doch nur ein Teil dieser Steigerung lässt sich durch die demografische Entwicklung erklären. Das zeigt ein Gutachten des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung Essen (RWI), das der GKV-Spitzenverband in Auftrag gegeben hat. „Vieles deutet darauf hin, dass in den Kliniken aufgrund ökonomischer Anreize medizinisch nicht notwendige Leistungen erbracht werden“, sagte der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, v. Stackelberg. „Wir brauchen kurzfristig eine Stabilisierung von Preis und Menge und wir brauchen mittelfristig neue Modelle zur Steuerung der Mengen, insbesondere im Bereich planbarer Operationen. Es muss das gemeinsame Anliegen der Kliniken, der Patienten und der Krankenkassen sein, dass die Anreize für medizinisch nicht notwendige Operationen gemindert werden.“
Nach Analysen der Gutachter steigt die Leistungsmenge (im DRG-Fallpauschalensystem der sogenannte Casemix) seit Einführung der Fallpauschalen jährlich um ca. drei Prozent. Schon die Begleitforschung zur DRG-Einführung zeigt, dass weniger als die Hälfte davon auf die Alterung der Bevölkerung zurückzuführen ist. Offenbar erbringen Krankenhäuser einen Teil der zusätzlichen Leistungen allein aus ökonomischen Gründen.
Es ist gut, dass die Politik die Thematik aufgegriffen und erste Vorschläge zur Begrenzung der Mengendynamik erarbeitet hat, die im Rahmen des aktuellen Gesetzgebungsverfahrens zum Psych-Entgeltgesetz verabschiedet werden sollen. Kurzfristig sollen insbesondere Mehrleistungsabschläge den Anreiz für Krankenhäuser reduzieren, ökonomisch induzierte und medizinisch nicht notwendige Leistungen zu erbringen. Da aber die Preise im Rahmen der aktuellen Gesetzgebung nicht wirkungsvoll begrenzt werden, steigt weiterhin der Anreiz, in die Menge zu gehen. Die Maßnahmen sind also kurzfristig ein Schritt in die richtige Richtung, aber mittelfristig keine Lösung.
Darüber hinaus sollen die Krankenkassen und die Kliniken auf Bundesebene verpflichtet werden, im Rahmen eines Forschungsauftrages nachhaltige Lösungen zur Mengenthematik bis Mitte 2013 zu erarbeiten. Die wesentlichen Lösungsoptionen zur Steuerung der Mengen werden im Gutachten des RWI bereits aufgezeigt und bewertet. Sollten die mengenbegrenzenden Maßnahmen zunehmend auf der Ebene des einzelnen Krankenhauses ansetzen, dann droht eine strukturelle Erstarrung, der mit Übertragung von Mengen zwischen den Krankenhäusern begegnet werden könnte. Zu den diskutierten Modellen gehören auch Ausschreibungsmodelle bei planbaren Leistungen.
Der Vorstand des GKV-Spitzenverbands begrüßt es, dass die Politik die Diskussion über neue Formen der Mengensteuerung angestoßen hat. Von Stackelberg sieht aber auch kurzfristigen Handlungsbedarf: „Zu dem Mengenproblem darf durch Scharfstellung des Orientierungswertes und der Refinanzierung von Tarifsteigerungen nicht auch noch ein Preisproblem kommen. Höhere Preise verstärken den Anreiz, aus rein ökonomischen Aspekten heraus Mehrmengen zu erbringen.“
Hintergrund zum Orientierungs- und Veränderungswert:
Als Abkehr von der Grundlohnorientierung enthält das Krankenhausentgeltgesetz seit 2009 eine Regelung zu einer kostenorientierten Fortschreibung der Preise im Krankenhaus (§ 10 Abs. 6 KHEntgG). Das statistische Bundesamt ermittelt jährlich den Kostenanstieg, der Gesundheitsminister kann einen Teil davon als Veränderungswert festsetzen. Dieser ist dann die Obergrenze für die Preisverhandlungen (Basisfallwerte) auf Landesebene. Bisher ist der Veränderungswert noch nicht zur Anwendung gekommen. Derzeit kursieren Pläne, die Verhandlung der Obergrenze auf die Selbstverwaltungspartner (DKG, GKV-Spitzenverband und PKV) zu verlagern. Die Krankenkassen kritisieren, dass beim Orientierungswert die Produktivitätsentwicklung (z.B. Kostenentwicklung je Fall) nicht berücksichtigt wird.