Kommt heute ein neues Arzneimittel auf den Markt, ist kaum zeitnah zu klären, ob die Bezeichnung Innovation in Bezug auf die Versichertenversorgung stimmt oder nur ein Marketingversprechen des Herstellers ist. Dank EVITA wird sich das künftig ändern. Nach einer dreijährigen Entwicklungsphase liefert EVITA (Evaluation Innovativer Therapeutischer Alternativen) Fachleuten eine schnelle Entscheidungshilfe. Das Analysetool bewertet die in den Markt gekommenen Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen auf Grundlage der verfügbaren Literatur evidenzbasiert und zeitnah. Pro Jahr sollen etwa zehn Substanzen untersucht werden. Drei aktuelle, im Rahmen der Projektentwicklung bewertete Wirkstoffe sind bereits im Internet unter www.evita-report.de veröffentlicht.
Warum brauchen wir EVITA?
Um eine Zulassung für neue Arzneimittel zu erhalten, müssen pharmazeutische Unternehmen in klinischen Studien Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit nachweisen. In der Regel wird der Wirkstoff dabei jedoch nur gegenüber einem Placebo (Scheinpräparat ohne spezifische Wirkung) über einen kurzen Zeitraum und bei einer kleinen Patientengruppe getestet. Zulassungsstudien erlauben deshalb nur äußerst selten Rückschlüsse auf einen Vorteil für die Mehrheit der Patienten gegenüber der bisherigen Standardtherapie.
Angesichts der unbefriedigenden Studienlage zum Zeitpunkt des Markteintritts werden neue Arzneimittel in Deutschland oft primär nach pharmakologischen Kriterien eingeordnet (z. B. Klassifikation nach Fricke und Klaus). EVITA hingegen geht davon aus, dass von einer Innovation im Arzneimittelsektor nur gesprochen werden darf, wenn durch methodisch hochwertige klinische Studien ein patientenrelevanter Vorteil gegenüber dem bisherigen Behandlungsstandard belegt worden ist. Entscheidendes Kriterium ist der Fortschritt, der sich aus dem Abwägen zwischen erreichten Behandlungszielen und unerwünschten Neben- und Wechselwirkungen ergibt.
Wie arbeitet und bewertet EVITA?
Mit dem Analysetool EVITA ist die Bewertung eines neu eingeführten Arzneimittels in der Regel innerhalb eines Monats auf Grundlage der verfügbaren Literatur möglich. EVITA liefert indikationsbezogene Erkenntnisse zum therapeutischen Stellenwert (Innovationsgrad) und zur Frage, ob die eine Markteinführung stets begleitende massive Produktwerbung mit den Studienergebnissen übereinstimmt. Die Kosten einer Therapie werden ausdrücklich nicht betrachtet.
Mit Hilfe eines Punktesystems stellt EVITA Wirksamkeit und Risiken eines Arzneimittels gegenüber. Positiv bewertet wird der therapeutische Nutzen. Unerwünschte Neben- und Wechselwirkungen führen dagegen zu negativen Bewertungen. Entscheidende Kriterien für die Punktevergabe sind
- die methodische Qualität der vorliegenden Studien,
- die Bedeutung der Studienziele für die Patienten (Einflussnahme auf Sterblichkeit und Krankheitsverlauf versus Korrektur von Surrogaten wie z. B. Laborwerte) und
- die Testung eines Arzneimittels gegenüber dem bisherigen Behandlungsstandard (anstelle von Placebo).
Im Internet veröffentlicht werden der erreichte Punkte-Score sowie eine Liste sämtlicher der Bewertung zugrunde liegender Quellen. Optisch unterstützt wird die Darstellung der Bewertungspunkte durch eine Farbskala: grün (klinischer Fortschritt sicher), gelb (klinischer Fortschritt unklar), rot (sicher kein klinischer Fortschritt). Genügt die Studienlage nicht den Bewertungsanforderungen, wird das durch ein „N/A“ (= nicht auswertbar) und ein Halteschild mit Fragezeichen ausgewiesen. Sollte sich die Studienlage ändern, kann die Bewertung jederzeit wieder aufgenommen werden. Innerhalb weniger Tage kann dann festgestellt werden, ob das Gesamtergebnis beeinflusst wird.
Was ist von EVITA zu erwarten?
Mittels EVITA können echte von scheinbaren Innovationen unterschieden werden. Damit liefert EVITA nicht nur wertvolle Informationen für die verordnenden Ärzte, sondern ist auch eine Entscheidungshilfe für den GKV-Spitzenverband. Er erhält Unterstützung in den Verhandlungen mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zum wirtschaftlichen und qualitätsgesicherten Einsatz innovativer Arzneimittel sowie bei der Weiterentwicklung möglicher Steuerungsinstrumente (z. B. Therapiehinweise, Verordnungseinschränkungen, Zweitmeinungsverfahren). Das Analysetool EVITA steht nicht in Konkurrenz zu den Bewertungsverfahren des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG).
EVITA wurde in den letzten drei Jahren im Auftrag der gesetzlichen Krankenkassen von schwedischen und deutschen Wissenschaftlern gemeinsam entwickelt. Es ist ein Kooperationsprojekt des Instituts für Pharmakologie am Klinikum Bremen-Mitte, der Arbeits- und Koordinierungsstelle Gesundheitsforschung der Universität Bremen und der NEPI-Foundation der Lund-Universität Malmö.