STATEMENT - BERLIN, 12.11.2010 Ein hoher Preis für stabile Finanzen

GKV-Spitzenverband

Der Bundestag will heute das Gesetz zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung beschließen. Dazu nimmt Frau Dr. Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes Stellung:

"Mit dem GKV-Finanzierungsgesetz hat die Bundesregierung dafür gesorgt, dass die Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung im kommenden Jahr auf einem soliden Fundament stehen. Das ist ein wichtiges Signal sowohl für die Versicherten als auch für die gesetzlichen Krankenkassen. Es ist davon auszugehen, dass es vorerst nicht zu einer flächendeckenden Erhebung von Zusatzbeiträgen kommen wird. Einzelne Kassen werden ihre bisherigen Zusatzbeiträge jedoch auch weiterhin erheben müssen. Vereinzelt kann es 2011 auch neue Zusatzbeiträge geben. Schließungen oder Insolvenzen von Krankenkassen werden durch das GKV-Finanzierungsgesetz auf Sicht weitgehend ausgeschlossen. Das drohende Defizit wurde verhindert.

Allerdings müssen die Beitragszahler einen aus unserer Sicht unnötig hohen Preis für diese finanzielle Stabilität bezahlen. Die Beitragssatzerhöhung von 0,6 Prozentpunkten wäre nicht notwendig gewesen, wenn es ein echtes, engagierteres Sparpaket gegeben hätte. So hatten beispielsweise die niedergelassenen Ärzte bereits in der größten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit satte Honorarzuwächse bekommen. Trotzdem hat die Politik dafür gesorgt, dass in diesem Herbst gleich zweimal deutliche Honorarerhöhungen für die Ärzte beschlossen wurden – einmal im Erweiterten Bewertungsausschuss und dann noch einmal durch einen Änderungsantrag, der weitere 120 Mio. Euro in die Kassen der niedergelassenen Ärzte spülen wird. Man kann also feststellen, dass es keine konsequente Sparpolitik gibt, sondern bestenfalls marginale Minderungen der Honorar- und Einnahmezuwächse bei Ärzten, Zahnärzten und Krankenhäusern. Bezahlen müssen dies die Versicherten und die Arbeitgeber durch die bereits genannte Beitragssatzerhöhung.

Mit einer gewissen Sorge blicken wir darauf, dass es für die Steuerfinanzierung des Sozialausgleichs bisher lediglich eine politische Absichtserklärung und keine konkrete Festlegung gibt. Hier sind wir auf Grund der Erfahrungen der vergangenen Jahre nicht ohne Skepsis.

Wirkungen und Nebenwirkungen des Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetzes

Mit dem Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz ist erstmals das Preismonopol der Pharmaindustrie ernsthaft angegangen worden. Es ist zweifellos ein großes Verdienst des AMNOG, dass wir in Deutschland endlich für neue Arzneimittel, die nicht einer Festbetragsgruppe zuzuordnen sind, in Rabattverhandlungen zwischen pharmazeutischen Unternehmen und dem GKV-Spitzenverband eintreten können. Dabei ist zu betonen, dass darüber hinaus zusätzlich noch die einzelnen Krankenkassen mit Unternehmen über individuelle Rabatte verhandeln können. Das Festbetragssystem wird durch das AMNOG nicht nur bestätigt, sondern in seiner Wirkung gefestigt und gestärkt. Das beschleunigte Festbetragsverfahren, also die automatische Zuordnung eines neuen Arzneimittels ohne Zusatznutzen zu den Festbeträgen bzw. die Aufnahme von Rabattverhandlungen, wenn es keine passende Festbetragsgruppe gibt, ist ein echter Fortschritt.

Als ein großes Problem wird sich die Mehrkostenregelung für Rabattarzneimittel entpuppen. Sie wird die Möglichkeiten der Krankenkassen, durch eigene Rabattverhandlungen zusätzliche Einsparvolumina zu generieren, deutlich schwächen. Auf der Schlussgeraden des Gesetzgebungsverfahrens ist zudem eine deutliche Verschlechterung des Status quo in das Gesetz eingebracht worden – denn die Tatsache, dass die therapeutische Wirksamkeit nach dem Arzneimittelgesetz künftig mit dem therapierelevanten Nutzen nach dem Sozialgesetzbuch gleichgesetzt werden soll, ist alles andere als eine Verbesserung! Nicht jede pharmakologische Wirkung nützt dem Patienten. Die Möglichkeiten der Verordnungseinschränkungen und der Verordnungsausschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses tendieren nunmehr gegen Null. Damit werden wichtige Handlungsmöglichkeiten im Interesse der Patientinnen und Patienten aufgegeben.

Die nächste Reform steht vor der Tür

Im kommenden Jahr wird es darum gehen, den Blick stärker auf die Weiterentwicklung der Versorgung der Patientinnen und Patienten zu richten. Durch die Aufhebung der planwirtschaftlichen Strukturen in der stationären Versorgung könnte man eine echte Verbesserung der Versorgungsqualität in Verbindung mit mehr wirtschaftlicher Effizienz erreichen. Die Konzepte der Kassen dafür liegen auf dem Tisch. Hier könnte gezeigt werden, dass eine moderne Gesundheitspolitik tatsächlich auf mehr Wettbewerb setzt. Die politisch erfolgte Ankündigung, bei der Vergütungssystematik der niedergelassenen Ärzte tätig werden zu wollen, ist einerseits Hoffnung für echte Verbesserungen, lässt aber gleichzeitig aufgrund schlechter Erfahrungen die Alarmglocken schrillen – Honorarreform hieß in der Vergangenheit immer Honorarerhöhung zulasten der Beitragszahler. Das kann nicht das Ziel sein. Hier muss endlich die Versorgung der Patientinnen und Patienten in den Mittelpunkt gestellt werden und nicht die Versorgung der Ärzte.

Darüber hinaus wird das Jahr 2011 das Jahr der Pflegeversicherung sein. Der Reformbedarf, insbesondere mit Blick auf den Pflegebedürftigkeitsbegriff einerseits und der Finanzierung der notwendigen Pflegeleistungen andererseits, wird Gegenstand der Debatten und der notwendigen politischen Entscheidungen sein."