Das Thema Normung von Sozial- und Gesundheitsdienstleistungen steht zunehmend im Fokus der Diskussionen auf EU-Ebene. Vorangetrieben wird die Normung in diesem Bereich durch das private Europäische Komitee für Normung (CEN), einem Zusammenschluss der mitgliedstaatlichen Normsetzungsorganisationen. Auf einer gemeinsamen Konferenz in der Ständigen Vertretung Deutschlands bei der EU in Brüssel haben sich die Deutsche Sozialversicherung, vertreten durch den GKV-Spitzenverband, die Deutsche Krankenhausgesellschaft und die Bundesärztekammer klar dagegen ausgesprochen, europäische Normen im Gesundheitsdienstleistungsbereich festzusetzen. Die Zuständigkeit für die Sozial- und Gesundheitssysteme ist gemäß den Lissabonner Verträgen bei den Mitgliedstaaten angesiedelt. Auch deshalb ist es für die drei Institutionen von maßgeblicher Bedeutung, ein klares Signal gegen eine Ausweitung der europäischen Normungstendenzen zu setzen.
„Standardisierung ärztlicher Leistungen durch private Normungsinstitute lehnen wir strikt ab“, so der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Georg Baum, auf der gemeinsamen Informationsveranstaltung von Kassen, Krankenhäusern und Ärzten. „In Deutschland werden Qualitätsvorgaben für die Leistungserbringung von dazu berufenen Organisationen gemacht. Zum einen sind dafür die Partner der gemeinsamen Selbstverwaltung im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) zuständig, zum anderen legen die medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften die klinischen Anforderungen an gute Medizin fest. Standards durch private Normungsinstitute auf EU-Ebene können diese Aufgabe nicht erfüllen. Schlimmer noch, sie brechen gesetzliche Vorgaben. Sie dürfen über öffentliche Mittel des EU-Haushaltes daher nicht weiter entwickelt werden“, so Georg Baum.
Dr. Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenversicherungen und hier Vertreterin der Deutschen Sozialversicherung, betont: „Europäische Normung kann bei Produkten im Gesundheitswesen sinnvoll sein, etwa bei Medizinprodukten oder Spritzen. Bei gesundheitlichen und pflegerischen Dienstleistungen bringen europäische Normen hingegen keinen zusätzlichen Nutzen – weder für Patienten, noch für Leistungserbringer oder das gesamte System. Die gesetzlichen Krankenkassen investieren bereits erhebliche Mittel in die Qualität der Versorgung und in die Patientensicherheit. Gemeinsam mit den nationalen Leistungserbringern wollen wir unser System weiterentwickeln. Die Europäische Union kann diesen Prozess unterstützen, indem sie den Austausch zwischen den Mitgliedstaaten zu Qualität und Patientensicherheit fördert. Wichtig wäre es auch, dass die EU diese Ziele vorrangig bei ihrer eigenen Arzneimittel- und Medizinprodukteregulierung verfolgt.“
Dr. Günther Jonitz, Vorsitzender der Qualitätssicherungsgremien der Bundesärztekammer, betonte, dass eine individuelle, dem Stand der Wissenschaft entsprechende medizinische Versorgung, auf der Basis von Gesundheitsdienstleistungsnormen de facto ausgeschlossen sei. Die Qualitätssicherung in der ärztlichen Behandlung stütze sich auf das Prinzip der evidenzbasierten Medizin. „Die von privaten Normungsorganisationen durch überwiegend fachfremde Akteure erarbeiteten Gesundheitsdienstleistungsnormen erfüllen die damit verbunden hohen Anforderungen nicht ansatzweise und gefährden die Patientenversorgung“, warnte Jonitz. Der Vertrag von Lissabon garantiere den EU-Mitgliedstaaten das Recht, ihre Gesundheitssysteme eigenverantwortlich zu gestalten um den unterschiedlichen länderspezifischen Gegebenheiten gerecht zu werden. In Deutschland etwa werde die hohe Qualität der ärztlichen Versorgung durch Ärztekammern gewährleistet wie in anderen EU-Ländern durch ebenfalls länderspezifische Strukturen. Jonitz: „Wir werden nicht zulassen, dass dieses Recht mit der Normung von Gesundheitsdienstleistungen durch die Hintertür ausgehebelt wird.“