PRESSEMITTEILUNG - BERLIN, 20.12.2019 Kommt jetzt die Novartis-Gesundheitslotterie?

GKV-Spitzenverband

Portrait von Frau Stefanie Stoff-Ahnis, Mitglied des Vorstandes des GKV-Spitzenverbandes

Stefanie Stoff-Ahnis

Das Pharmaunternehmen Novartis hat für nächstes Jahr ein internationales Programm angekündigt, durch das in allen Ländern, in denen sein Produkt Zolgensma noch nicht zugelassen ist, 100 Dosen kostenlos verteilt werden sollen. Dazu gehören alle europäischen Länder; so auch Deutschland. Bis Ende Juni 2020 sollen für Kinder unter zwei Jahren 50 Dosen kostenlos bereitgestellt werden. In der zweiten Jahreshälfte dann noch einmal 50 Dosen.

Die Gentherapie mit Zolgensma wird zur Behandlung der meist tödlich verlaufenden Erbkrankheit Spinale Muskelatrophie (SMA) eingesetzt, die etwa eines von 10.000 Neugeborenen betrifft. Zolgensma ist in Europa nicht zugelassen. Das Zulassungsverfahren läuft noch. Bereits seit 2017 steht mit dem Medikament Spinraza ein auch in Deutschland zugelassenes Medikament zur Verfügung.

„Im nächsten Jahr rund um die Welt 100 kostenlose Dosen zu vergeben, wirkt wie eine Form der Rationierung. Weltweit müssen betroffene Kinder und ihre Familien ertragen, dass ein Pharmaunternehmen die systematische Versorgung anscheinend durch eine Gesundheitslotterie ersetzt“, so Stefanie Stoff-Ahnis, Vorstand beim GKV-Spitzenverband. „Gesellschaftliche Verantwortung, die die Pharmaindustrie so gerne für sich reklamiert, sieht anders aus.

Ich fordere Novartis nachdrücklich auf, sofort ein echtes Härtefallprogramm in Deutschland aufzulegen, statt sich mit einem angeblichen internationalen Härtefallprogramm aus der Verantwortung für sein Produkt zu stehlen. Keiner der bisherigen Vorschläge von Novartis an den GKV-Spitzenverband enthielt ein Härtefallprogramm oder sonst einen für die Patienten und Behandelnden vertretbaren qualitätsorientierten Lösungsansatz.“

Genau für den Fall, dass es ein für die Versorgung besonders wichtiges neues, jedoch noch nicht zugelassenes Arzneimittel gibt, ist in Deutschland die Versorgung kranker Menschen im Rahmen eines sogenannten Härtefallprogramms geschaffen worden. Neben zahlreichen Apellen auch von medizinischen Fachgesellschaften, hatte das Bundesgesundheitsministerium sich an Novartis gewandt. Das gemeinsame Ziel: Novartis im Interesse der Patientensicherheit dazu zu bewegen, ein Härtefallprogramm in Deutschland aufzulegen.

Pharmaunternehmen wählen den Beginn eines Zulassungsverfahrens selbst und haben durch das Ausmaß ihrer Kooperation mit der Zulassungsbehörde einen entscheidenden Anteil daran, wie rasch die Zulassung ihres Produktes erfolgen kann.

„Damit eins klar ist: Wir brauchen in Europa zugelassene Arzneimittel. Der Contergan-Skandal mahnt uns alle, welche Gefahren von Arzneimitteln ausgehen können, die nicht eingehend auf Wirksamkeit und Sicherheit geprüft wurden“, so Stoff-Ahnis.

Härtefallprogramm für mehr Versorgungssicherheit

  • Vorteile für die Behandelten: Normalerweise ist durch die Zulassung sichergestellt, dass ein Arzneimittel sicher und wirksam ist. Bei Arzneimitteln ohne Zulassung wird der Patientenschutz durch die Rahmenbedingungen eines Härtefallprogrammes gesichert. Diese dürfen nicht auf anderem Wege untergraben werden. Erkrankte bzw. deren Angehörige sowie Behandler wägen im Rahmen eines Härtefallprogrammes den möglichen Nutzen und Schaden des noch nicht zugelassenen Arzneimittels und weniger riskanter Alternativen ab. Die Qualität der Anwendung, Meldung von Nebenwirkungen und Betreuung ist gesichert.
  • Vorteile für den Hersteller: Sein Produkt kann schon vor der Zulassung den Menschen helfen, die Ärzte werden frühzeitig und in einem geschützten Rahmen an die Anwendung herangeführt. Der verantwortungsvolle Hersteller hat zudem selbst ein großes Interesse an einer qualitätsgesicherten Anwendung seines Arzneimittels, um so vermeidbare Schäden, die mit dem Produkt in Verbindung gebracht würden, zu verhindern.
  • Vorteile für die Behandler: Es bestehen geregelte Qualitätskriterien für die Zentren und Behandler, Informationsmaterial zur Anwendung und gegebenenfalls Schulungen für die Behandler (Ärzte, Pflegepersonal). Dies führe zu einer höheren Handlungssicherheit und damit einem geringeren Haftungsrisiko.
  • Vorteile für die Krankenkassen: Versicherte ohne zufriedenstellende Alternativen können sehr früh mit dem Medikament behandelt werden, obwohl es noch nicht zugelassen ist. Es sind zudem klare Kriterien definiert, wann der mögliche Nutzen das Risiko der neuen Therapie überwiegt.
  • Gemeinsame Vorteile: Die Behandlung erfolgt unter strukturierten Bedingungen. Die medizinischen Erkenntnisse, die im Rahmen der Behandlung gewonnen werden, insbesondere zu Nebenwirkungen, werden zusammengetragen und können die laufenden Behandlungen verbessern und dem Hersteller wichtige Erkenntnisse liefern. Durch die systematische Datenerhebung wird die Behandlungsqualität für die Versicherten verbessert und zukünftige Behandelte geschützt.
  • Die Kosten werden zwischen Hersteller und Krankenkassen aufgeteilt: Der Hersteller finanziert das noch nicht zugelassene Medikament, die Krankenkassen finanzieren die Behandlungskosten.
  • Zahlreiche Härtefallprogramme laufen derzeit in Deutschland und sind beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte sowie dem Paul-Ehrlich-Institut gelistet.

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