Jedes Jahr versorgen die gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen ihre Versicherten mit mehr als 30 Millionen Hilfsmitteln. Hierzu gehören Gehhilfen, Rollstühle und Blutzuckermessgeräte genauso wie digitale Pflegehilfsmittel wie modulare Assistenzsysteme zum Absetzen eines Notrufs.
Die Gesamtausgaben für Hilfsmittel betragen inzwischen 10,36 Milliarden Euro und sind in den letzten 15 Jahren um 81 Prozent gestiegen. Pro Versicherten erhöhten sich die Ausgaben in dieser Zeit von rund 81 Euro auf 141 Euro. Ein Sprung von 73 Prozent, der letztlich von den Beiträgen der GKV-Versicherten bezahlt wird.
GKV-Versicherte sollen auch zukünftig bedarfsgerecht, qualitativ hochwertig und wirtschaftlich nachhaltig mit Hilfsmitteln versorgt werden. Deshalb haben heute die AOK Bayern, die Techniker Krankenkasse und der GKV-Spitzenverband sechs Vorschläge für eine zukunftsfeste Hilfsmittelversorgung durch die gesetzlichen Krankenkassen bekräftigt. Diese ist nur mit wirksamen Steuerungsinstrumenten und einem fairen Wettbewerb für alle Beteiligten - also für Versicherte, für Leistungserbringende und Krankenkassen - möglich.
Die sechs Forderungen lauten:
- Steuerungsinstrumente für rechtssichere Ausschreibungen und Festbeträge stärken
- den Wettbewerb unter Leistungserbringenden wiederbeleben
- Kartellrecht konsequent anwenden, um Verhandlungsgemeinschaften zum Nachteil der Versichertenversorgung zu verhindern
- Leistungserbringende müssen Gründe für Mehrkosten elektronisch an Kassen übermitteln
- unnötige Bürokratie, unter anderem bei Betreiberpflichten oder Präqualifizierung, abbauen
- Mehrwertsteuer auf sieben Prozent senken.
Steuerungsinstrumente stärken
Gernot Kiefer, stellvertretender Vorstandsvorsitzender GKV-Spitzenverband: „In nur 15 Jahren sind die GKV-Ausgaben für Hilfsmittel um 81 Prozent auf fast 10,4 Milliarden Euro gestiegen. Dies zeigt, der Versorgungsbedarf ist hoch und er soll auch zukünftig durch die GKV abgesichert werden. Gerade deshalb brauchen wir wieder effiziente Steuerungselemente in der Hilfsmittelversorgung, die den Wettbewerb neu beleben. Dazu gehören rechtssichere Rahmenbedingungen für Festbeträge und die Möglichkeit, in geeigneten Bereichen auszuschreiben. Ein Preis- und Qualitätswettbewerb zwischen den Anbietern wird unsere Versicherten qualitativ hochwertig versorgen und der Preisspirale nachhaltig etwas entgegensetzen.“
Wettbewerb beleben
Dr. Irmgard Stippler, Vorstandsvorsitzende AOK Bayern: „Wir konnten beobachten, dass es seit dem Verbot der Ausschreibungen für Hilfsmittel im Jahr 2019 zu deutlichen Preissteigerungen gekommen ist. Bei Elektrostimulationsgeräten zeigt sich beispielsweise eine Preiserhöhung von 517 Prozent im Vergleich der Jahre 2018 und 2022 im AOK-System. Gleichzeitig konnte jedoch keine Verbesserung der Versorgung der Versicherten festgestellt werden. Das zeigt, dass die Ausschreibungen ein wirkungsvolles Instrument für eine wirtschaftliche und qualitativ hochwertige Versorgung mit Hilfsmitteln sein können. Deshalb fordern wir, den Krankenkassen diese Möglichkeit wieder zur Verfügung zu stellen.“
Mehrkosten transparent machen
Thomas Ballast, stellvertretender Vorstandsvorsitzender Techniker Krankenkasse: „Uns ist es wichtig, die Versicherten vor unnötigen Mehrkosten zu schützen. Daher sind unsere Verträge so gestaltet, dass wir alle Versicherten ohne Mehrkosten mit den medizinisch notwendigen Hilfsmitteln versorgen können. Das muss jedem Versicherten bei der Hilfsmittelabgabe durch das Sanitätshaus oder Fachgeschäft deutlich erklärt werden. Besteht dann noch ein Wunsch nach „mehr“ - zum Beispiel nach einer Wunschfarbe oder zusätzlichem Komfort - ist das zu dokumentieren, denn Versicherte brauchen die Transparenz für eine informierte Entscheidung. Um unsere Versicherten vor Mehrkosten zu schützen, gehen wir als TK dazu über, in vielen Verträgen zwei mehrkostenfreie Produkte anbieten zu lassen. Dies sollte zusammen mit einer Dokumentationspflicht der Mehrkosten gesetzlicher Standard werden.“
Sechs Forderungen aus dem GKV-Positionspapier
Mit den sechs Forderungen an die Politik wollen die gesetzlichen Krankenkassen und der GKV-Spitzenverband auch langfristig eine bessere, bedarfsgerechte und qualitätsgesicherte Hilfsmittelversorgung für ihre Versicherten erreichen.
Steuerungsinstrumente wie Ausschreibungen und Festbeträge stärken: Die Hilfsmittelpreise sind seit dem gesetzlichen Ausschreibungsverbot 2019 in den betroffenen Produktgruppen eklatant gestiegen. Die Versorgung der Versicherten hat das jedoch nicht weiter verbessert. Stattdessen fehlt seitdem der Wettbewerb unter Hilfsmittelanbietern. Rechtssichere Rahmenbedingungen für Qualitätsausschreibungen sind also für eine wirtschaftliche Versorgung wichtig und müssen den Krankenkassen wieder ermöglicht werden. Ebenso können Festbeträge ihre positive Wirkung einer oberen Schwelle von Vertragspreisen nicht mehr entfalten. Grund dafür ist die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Die entsprechende Vorschrift muss daher durch den Gesetzgeber rechtssicher angepasst werden, damit dieses wichtige Instrument weiterhin greifen kann.
Wettbewerb beleben: Der Wettbewerb auf dem Hilfsmittelmarkt muss wieder gestärkt werden. Dafür ist es nötig, Einzelvereinbarungen zwischen Kassen und Leistungserbringenden gleichrangig neben Rahmenverträgen zu ermöglichen. Vertragsinhalte sollten nur den Beteiligten zugänglich gemacht werden dürfen, die einem Vertrag beitreten wollen – die derzeitige Forderung, Vertragspartner im Internet zu veröffentlichen, behindert den Wettbewerb.
Kartellrecht konsequent anwenden: Auf Seiten der Leistungserbringenden sind zunehmend Kooperationen zu beobachten, die Wettbewerb einschränken oder ganz verhindern. Sie treten als Verhandlungsgemeinschaft auf – in einzelnen Branchen repräsentieren solche Zusammenschlüsse Marktanteile von bis zu 95 Prozent! Dies ist durch gesetzliche Regelungen zu unterbinden, um faire Wettbewerbsbedingungen für Kassen und Leistungserbringende sowie eine Anbietervielfalt für Versicherte zu gewährleisten.
Mehrkosten transparent machen - Versicherte fair beraten: Gesetzlich Versicherte können Hilfsmittel wählen, die über das Maß des Notwendigen hinausgehen. Die Mehrkosten dafür tragen sie jedoch selbst. Um aber hierzu eine informierte Entscheidung treffen zu können, müssen Versicherte von Leistungserbringenden zu mehrkostenfreien Hilfsmitteln beraten werden. Damit möglichst niemand zu teureren Hilfsmitteln gedrängt wird, braucht es Transparenz über die Gründe, warum sich Versicherte für Mehrkosten entscheiden. Diese Informationen sollten die Leistungserbringenden den Kassen zur Verfügung stellen müssen.
Unnötige Bürokratie abbauen: Sowohl Leistungserbringende als auch Krankenkassen würden vom Abbau unnötiger Bürokratie profitieren. Zum Beispiel sollten unangemessene Betreiberpflichten von Hilfsmitteln gestrichen werden, die sowohl für Kassen als auch für Vertragspartner mit enormem Aufwand verbunden sind, aber keinen Mehrwert bringen. Ebenso sind gesetzliche Klarstellungen notwendig, dass im Rahmen der Präqualifizierung die Eignung von Leistungserbringenden nicht mindestens zwei Mal während des fünfjährigen Präqualifizierungszeitraums erneut überprüft werden muss.
Mehrwertsteuer senken: Derzeit sind vergleichbare oder sogar identische Hilfsmittel unterschiedlich besteuert. Das ist nicht nachvollziehbar. Es trägt zur Ausgabensteigerung im Hilfsmittelbereich bei und führt zu Verzerrungen im Wettbewerb. Eine einheitliche Senkung der Mehrwertsteuer für Hilfsmittel von 19 auf sieben Prozent dient der Finanzstabilität in diesem Bereich.