In der sozial- und gesundheitswissenschaftlichen Forschung herrscht große Einigkeit: Wer die Gesundheit der Bevölkerung stärken will, muss sich in erster Linie für gesundheitsfördernde Lebensbedingungen einsetzen und Menschen dabei unterstützen, gesund leben zu können. Denn die Ursachen für Krankheit und frühen Tod liegen überwiegend in gesundheitsschädlichen Lebensstilen und Rahmenbedingungen, die diese verstärken oder gar provozieren.
Die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung, die gesetzliche Unfallversicherung, die gesetzliche Rentenversicherung, die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau sowie die private Kranken- und Pflegeversicherung halten ein breites Spektrum qualitativ hochwertiger Leistungen vor, um Lebens- und Arbeitswelten so zu gestalten, dass Krankheiten entweder gar nicht erst entstehen oder bestehende Krankheiten abgemildert werden. Auch unterstützen sie Menschen dabei, ihre Gesundheits- und Sicherheitskompetenz zu stärken. Im Rahmen der nationalen Präventionsstrategie setzen sie sich gemeinsam dafür ein, in Kommunen, Betrieben, Bildungseinrichtungen, Kindergärten oder Pflegeeinrichtungen Verhältnisse zu ermöglichen, die sowohl die Gesundheit als auch die Sicherheit und Teilhabe der Menschen fördern.
Prävention ist eine Gemeinschaftsaufgabe
Dabei deckt das umfangreiche Engagement der Sozialversicherungsträger und der privaten Krankenversicherung nur einen Teil des notwendigen „Policy-Mix“ aus Verhaltens- und Verhältnisprävention ab. Es ist umso wirkungsvoller, je stärker auch alle übrigen in der Verantwortung stehenden Akteure im Sinne von „Health in All Policies“ aktiv sind – und zwar sowohl im Bund als auch in den Ländern und Kommunen. Denn nur, wenn Gesundheit über alle föderalen Ebenen hinweg und in allen Politik- und Gesellschaftsfeldern fest verankert wird, können auch alle Faktoren, die Einfluss auf die Gesundheit der Menschen ausüben, angegangen werden.
Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag mehrere Reformvorhaben angekündigt, die das Potenzial bieten, den „Health in All Policies“-Ansatz auf Bundesebene zu stärken, allen voran die Einrichtung eines Bundesinstituts für Öffentliche Gesundheit. Auch die gesetzliche Initiative des Bundesministeriums für Gesundheit zur Senkung der Krankheitslast durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen sollte genutzt werden, um sich politikfeldübergreifend für gesundheitsfördernde und gesundheitserhaltende Lebensverhältnisse einzusetzen. Der aktuelle Entwurf des Gesundes-Herz-Gesetzes (GHG) lässt jedoch leider vermuten, dass das Vorhaben auf die Früherkennung von Krankheitsrisiken und insbesondere den ärztlich-medizinischen Versorgungsbereich beschränkt bleibt. Zielführender wäre es, stattdessen die Potenziale verhältnispräventiver Maßnahmen stärker auszuschöpfen. Die Nationale Präventionskonferenz steht bereit, sich in die Reformvorhaben und Gesetzesinitiativen der Bundesregierung einzubringen, um gemeinsam darauf hinzuwirken, dass Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung bei politischen Entscheidungen im Sinne einer nationalen Präventionsstrategie immer mitgedacht werden.
Kombination aus Verhaltens- und Verhältnisprävention gewährleisten
„Die Präventionsleistungen der gesetzlichen Krankenkassen fußen auf einer wissenschaftlich abgesicherten Kombination aus verhaltensbezogenen Angeboten zur Stärkung von Kompetenzen für einen gesundheitsförderlichen Lebensstil und Unterstützungsleistungen zur Gestaltung gesundheitsförderlicher Verhältnisse in Lebenswelten wie Kommunen, Kindergärten und Betrieben. Die Pläne der Bundesregierung, die dafür vorhandenen Finanzmittel zugunsten einer verstärkten Medikalisierung zu kürzen, sind für die Prävention ein fatales Signal. Viel wichtiger wäre es, politische Initiativen auf den Weg zu bringen, die gesundheitsförderliche Lebensbedingungen für die Bürgerinnen und Bürger gewährleisten. So können die Präventionsleistungen der gesetzlichen Krankenkassen ihre volle Wirkung entfalten“, betont Stefanie Stoff-Ahnis, stellvertretende Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes.
Verhältnisprävention wirkt
„Seit Jahrzehnten engagieren sich Berufsgenossenschaften und Unfallkassen für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit und in der Bildung. Die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung setzen bei ihren Präventionsleistungen, wie Überwachung, Beratung und Qualifizierung, vor allem auf eine Verhältnisprävention, die Menschen sicher und gesund aufwachsen und arbeiten lässt. Besonders die sinkende Zahl der Arbeitsunfälle bestätigt aus unserer Sicht die Wirksamkeit dieses Ansatzes in Arbeits- und Bildungswelten. Grundlegend besteht in allen Lebenswelten großes Potenzial, die Verhältnisprävention noch stärker in den Blick zu nehmen. Dafür braucht es den Einsatz aller Verantwortlichen, um Rahmenbedingungen zu schaffen, die die Gesundheit der Menschen erhalten und fördern“, so Dr. Stefan Hussy, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV), Spitzenverband der Berufsgenossenschaften und Unfallkassen.
Medikamente statt Prävention?
„Die Pläne der Bundesregierung, Finanzmittel der Prävention für Medikamente einzusetzen, sind fatal. Um gesund aufzuwachsen und durch das Arbeitsleben zu kommen, sollten lebensstilförderliche Maßnahmen gestärkt werden, statt diese zu schwächen. Gerade im Bereich der Ernährung sind präventive Angebote von besonderer Bedeutung und Wirkung. Bereits im Kindesalter müssen wir mehr auf ein gesundes Aufwachsen und damit auf eine gesunde Ernährung setzen. Hiermit stärken wir unsere Arbeitsbevölkerung von Morgen und wirken sozialen Ungleichheiten entgegen. Statt die Aktivitäten der verschiedenen Akteure im Bereich der Prävention zu stärken und damit einen besseren Lebensstil eines jeden zu fördern, ist die geplante Kürzung in diesem Bereich die falsche Botschaft“, so Jörg Heinel, Vorstandsvorsitzender der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau.
Wirksame Prävention braucht sinnvolle Verzahnung verschiedener Angebote
„Gesundheitliche Strategien zur langfristigen Sicherung der Teilhabe am Erwerbsleben erlangen vor dem Hintergrund einer verlängerten Lebensarbeitszeit und des demografischen Wandels eine immer größere Bedeutung. Allerdings können Gesundheitsförderung und Prävention nicht allein vom Gesundheitssektor erfüllt werden. Mit dem Denken in engen Zuständigkeiten lässt sich Gesundheitsprävention nicht mehr bewältigen. Deshalb unterstützt die Deutsche Rentenversicherung den Health in All Policies-Ansatz. Damit das gelingt, muss eine sinnvolle Verzahnung von Leistungen zur Gesundheitsförderung, Prävention und medizinischen Rehabilitation frühzeitig mitgedacht und berücksichtigt werden – entsprechend dem Grundsatz „Prävention vor Reha vor Rente“. Da bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen Lebensstilfaktoren und damit die Primärprävention eine entscheidende Rolle spielen, sollten zudem verhältnispräventive Ansätze und die Förderung der individuellen Gesundheitskompetenz weiter ausgebaut werden. Sie können zu einer nachhaltig wirksamen Prävention beitragen“, erläutert Brigitte Gross, Direktorin der Deutschen Rentenversicherung Bund.
Prävention muss Leitprinzip der Gesundheitspolitik werden
„Prävention und Gesundheitsförderung sind in einer alternden Gesellschaft wie der deutschen der Schlüssel, um den demografisch bedingten Anstieg der medizinischen und pflegerischen Versorgungslasten zumindest zu bremsen und damit auch einen Beitrag zur Finanzierbarkeit des Versorgungssystems zu leisten und seinen Kollaps infolge des ebenfalls demografisch bedingten Fachkräftemangels zu verhindern. Wer Prävention auf Vorbeugemedizin reduziert, lässt ihr Potenzial für ein demografieresilientes Gesundheitssystem liegen. Deutschland darf nicht länger Zeit verlieren. Wir brauchen jetzt eine ganzheitliche Präventionsstrategie, die die Kooperation der Präventionsakteure in Bund, Ländern und Kommune verbessert und die verschiedenen Ansätze funktional integriert: Health in All Policies, Verhältnis- und Verhaltensprävention”, betont Dr. Timm Genett, Geschäftsführer im PKV-Verband.