Fokus: Arzneimittel und das AMNOG

Pharmazeutische Unternehmer sind verpflichtet, für jedes in den deutschen Markt eingeführte erstattungsfähige Arzneimittel mit einem neuen Wirkstoff den Zusatznutzen gegenüber einer zweckmäßigen Vergleichstherapie nachzuweisen. Auf Basis des Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) über die Nutzenbewertung verhandeln der GKV-Spitzenverband und der pharmazeutische Unternehmer für das Arzneimittel den sog. „Erstattungsbetrag“.

Mehrere Tabletten liegen auf einem Tisch.

Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen für Arzneimittel steigen seit Jahren trotz aller gesetzgeberischen Versuche, Grenzen zu ziehen und die Kostenentwicklung einzudämmen. Mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) aus dem Jahr 2010 wollte der Gesetzgeber diesen Trend endlich beenden. Zur Sicherstellung einer zweckmäßigen, qualitativ hochwertigen und wirtschaftlichen Arzneimittelversorgung sowie zur Gewährleistung der finanziellen Stabilität des deutschen Gesundheitssystems in Deutschland wurden pharmazeutische Unternehmer von nun an verpflichtet, für jedes ab dem 1. Januar 2011 in den deutschen Markt eingeführte erstattungsfähige Arzneimittel mit einem neuen Wirkstoff den Zusatznutzen gegenüber einer zweckmäßigen Vergleichstherapie nachzuweisen (§ 35a SGB V). Auf Basis des Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) über die Nutzenbewertung verhandeln der GKV-Spitzenverband (GKV-SV) und der pharmazeutische Unternehmer für das Arzneimittel den sog. „Erstattungsbetrag“ (§ 130b SGB V), es sei denn, der G-BA hat das Arzneimittel einer Festbetragsgruppe zugeordnet. Die Verhandlung des Erstattungsbetrages richtet sich maßgeblich nach dem Zusatznutzen. Für Arzneimittel mit Zusatznutzen gelten andere Verhandlungsvorgaben als für Arzneimittel ohne Zusatznutzen. Können sich die Parteien nicht einigen, setzt eine Schiedsstelle die offenen Vertragsinhalte per Schiedsspruch fest. Der Erstattungsbetrag gilt ab dem 7. Monat nach dem erstmaligen Inverkehrbringen des Arzneimittels als neuer Abgabepreis für die gesetzlich Versicherten sowie Privatversicherte und Selbstzahler. Für Krankenhäuser gilt er im Einkauf als Höchstpreis.

Grundgedanken eines Systems im Wandel

Seit seiner Einführung wird das AMNOG als „lernendes System“ charakterisiert; dies spiegelt sich darin wieder, dass sich der rechtliche Rahmen des „AMNOG-Systems“ im ständigen Wandel befindet. Seit Inkrafttreten des AMNOG am 01. Januar 2011 wurde allein der den Verhandlungen zugrundeliegende § 130b SGB V bis Ende 2020 in bisher elf Gesetzen und somit seit seinem Bestehen im Schnitt einmal jährlich verändert (Abbildung 1).

In diesem Wandel bieten die ursprünglichen Ziele und zentralen Prinzipien des AMNOG eine Orientierung, welche jeweils über die Jahre vielfach gestärkt aber zum Teil auch geschwächt wurden. Vier wesentliche Grundgedanken des AMNOG sind:

  • Transparenz über den Zusatznutzen neuer Arzneimittel
  • Kollektive Verhandlungslösung zum Erstattungsbetrag
  • Ausrichtung des Preises eines Arzneimittels am nachgewiesenen Zusatznutzen: Keine Mehrausgaben ohne ein Mehr an Nutzen
  • Senkung der Ausgaben bzw. Abmilderung der Ausgabensteigerung

Die Grundgedanken des AMNOG

Ein Kernelement des AMNOG ist es, durch die Nutzenbewertung frühzeitig mehr Transparenz zum therapeutischen Zusatznutzen für eine qualitätsvollere Versorgung zu schaffen. Ärztinnen und Ärzte sollen therapeutische Verordnungsentscheidungen auf einer wissenschaftlich belastbaren und sachverständig bewerteten Grundlage treffen können. Im Lauf der Zeit wurde jedoch deutlich, dass der beträchtliche Umfang der Beschlussdokumente mit ihrer Fülle an Details eine bessere Präsentation für die Ärzteschaft erforderlich machte. Auch die rechtlich geprägte Sprache der Beschlüsse stellte sich im ärztlichen Alltag als Umsetzungshindernis heraus, wo in der Regel innerhalb sehr kurzer Zeit eine Therapieentscheidung zu treffen ist. Mit dem Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz (AMVSG) aus dem Mai 2017 wurden daher die Grundlagen geschaffen, die wichtigsten Inhalte aus den G-BA-Beschlüssen in die von der Ärzteschaft genutzten Arztinformationssysteme (AIS) bzw. Praxisverwaltungssoftware (PVS) zu integrieren. Die wesentlichen Eckpunkte hierfür, inklusive einer Zusammenfassung der Tragenden Gründe in verständlicher Sprache, hat das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) in einer Rechtsverordnung festgelegt, der Elektronischen Arzneimittelinformationen-Verordnung (EAMIV).

Mit dem AMNOG wurde dem GKV-SV und dem jeweiligen pharmazeutischen Unternehmer aufgegeben, durch Verhandlung einen dem Zusatznutzen angemessenen Erstattungsbetrag zu finden (Verhandlungslösung). Scheitern die Parteien, geht diese Aufgabe an die hierfür eingerichtete Schiedsstelle über.

Die Bilanz nach 10 Jahren AMNOG bestätigt diesen Weg: Von 2011 bis Mai 2021 wurden 292 neue Wirkstoffe einer frühen Nutzenbewertung durch den G-BA unterzogen. In der weit überwiegenden Zahl an Verfahren (85 Prozent) konnten sich pharmazeutische Unternehmen und der GKV-SV auf einen Erstattungsbetrag einigen, in 10 Prozent der Verfahren setzte die Schiedsstelle diesen fest. Für 13 Wirkstoffe, also für 4,5 Prozent aller Wirkstoffe, wurde weder ein Erstattungsbetrag von der Schiedsstelle festgesetzt noch vereinbart, weil die Unternehmen die rahmenrechtliche Option in Anspruch nahmen, ihr Arzneimittel mit Beginn der Verhandlungen aus dem deutschen Markt zu nehmen (sog. Opt out). In allen Fällen lag kein Zusatznutzen vor und es stehen etablierte Therapiealternativen zur Verfügung, sodass die Versorgung der Patienten durch das Opt-out nicht gefährdet ist. Für den weit überwiegenden Teil aller neuen Arzneimittel hat sich damit der Grundgedanke des AMNOG, über eine Verhandlungslösung zu einer angemessenen Preisbestimmung zu gelangen, als tragfähige Lösung zur Preissteuerung patentgeschützter Arzneimittel erwiesen.

Ein weiteres grundlegendes Prinzip des AMNOG ist, dass die Ausgaben der GKV in einem angemessenen Verhältnis zum Zusatznutzen eines neuen Arzneimittels stehen sollen. Die frühe Nutzenbewertung des G-BA ist damit das zentrale Kriterium bei der Bestimmung des Erstattungsbetrags. Ob ein Arzneimittel einen Zusatznutzen hat oder nicht, entscheidet darüber, welcher Preisregulierungsrahmen greift. Im Erstattungsbetrag ist das Interesse des pharmazeutischen Unternehmers an einer angemessenen Vergütung und das Interesse der Versicherungsgemeinschaft an einer dem Zusatznutzen angemessenen Ausgabenlast in Ausgleich zu bringen. Die Vorstellungen beider Verhandlungsparteien zusammenzuführen, stellt sich in verschiedenen neuen Konstellationen als eine besondere Herausforderung dar.

Arzneimittel mit Zusatznutzen: Ein Mehr an Nutzen darf auch mehr kosten – aber wieviel ist genug?

Für Arzneimittel mit nachgewiesenem Zusatznutzen gilt: Echter therapeutischer Fortschritt darf auch mehr kosten. Dieser Gedanke hat Niederschlag gefunden in der Rahmenvereinbarung nach §130b Abs. 9 SGB V. Danach ist der Erstattungsbetrag für ein Arzneimittel mit Zusatznutzen über einen Zuschlag auf die Jahrestherapiekosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie zu bestimmen.

Insbesondere das sich in jüngerer Zeit stark entwickelnde Marktsegment der Arzneimittel mit beschleunigten Zulassungen kann mit dem aktuellen rechtlichen Rahmen nur bedingt einem dem nachgewiesenen Zusatznutzen angemessenen Preisniveau zugeführt werden. Unter dem Begriff der beschleunigten Zulassungen werden hier die bedingten Zulassungen („Conditional Approval“), Zulassungen unter außergewöhnlichen Umständen („Exceptional Circumstances“), Zulassungen für Arzneimittel für seltene Leiden („Orphan Drugs“) und Zulassungen für Arzneimittel für neuartige Therapien (ATMP, „Advanced Therapy Medical Products“) zusammengefasst. Gemein ist diesen Zulassungen in der Regel, dass aus Sicht der Zulassungsbehörde EMA aufgrund eines ungedeckten medizinischen Bedarfs Arzneimittel schnellstmöglich in den Verkehr gebracht werden sollten, auch wenn deren Wirksamkeit und Sicherheit noch nicht immer ausreichend belegt ist.

Im beschleunigten Zulassungsverfahren ist beispielsweise die gerade die für den Nachweis von Wirksamkeit und Sicherheit so zentral relevante Phase III-Studie, also die vergleichende klinische Prüfung in einer größeren Patientengruppe, vor Erteilung der Zulassung nicht mehr zwingend notwendig. Im Gegenzug verpflichtet sich das Unternehmen, ergänzende Daten nachzureichen. Erst nach Marktzugang soll durch Versorgungsdaten (sog. „Real World Data“) Evidenz generiert werden, um die vorab getroffene Annahme eines positiven Nutzen-Risikoverhältnisses zu bestätigen.

Neben den gesenkten Nachweisforderungen in beschleunigten Zulassungsverfahren werden Orphan Drugs im AMNOG-Nutzenbewertungsverfahren dahingehend privilegiert, dass bis zu einer Umsatzschwelle von 50 Mio. € im Jahr der Zusatznutzen durch gesetzlich angeordnete Vermutung als belegt gilt (Zusatznutzenfiktion), der G-BA legt keine zweckmäßige Vergleichstherapie (zVT) fest und der pharmazeutische Unternehmer muss kein vollständiges Dossier vorlegen. Hierdurch liegt zum Zeitpunkt der ersten Erstattungsbetragsverhandlungen häufig eine unreife und - soweit Daten vorgelegt werden - keine vollständig bewertete Erkenntnislage zu diesem Arzneimittel vor. Seit längerer Zeit kann eine Zunahme dieser Zulassungen und damit auch eine stetig steigende Zahl an neuen Arzneimitteln mit unzureichender Datenlage zum Zeitpunkt der Zulassung in der Versorgung beobachtet werden.

Trotz unreifer und unsicherer Erkenntnislage bringen die Unternehmen diese neuen Produkte zu immer höheren Einstiegspreisen in den deutschen Markt ein. Die Abbildung zeigt anhand der Vergleichsebene der Jahrestherapiekosten auf Basis der Preise bei Inverkehrbringen die deutliche Tendenz zu höheren Einstiegspreisen für Arzneimittel mit unsicherer Datenlage wie Orphan Drugs, Arzneimittel mit bedingter Zulassung oder aufgrund außergewöhnliche Umstände (EA).

Mit immer höheren Preisen erzeugen Arzneimittel für sehr kleine Patientenpopulationen – entgegen anderslautender Aussagen auch immer höhere Ausgaben: 2018 wurden beispielsweise für Arzneimittel gegen seltene Leiden 1,3 Mrd. € von der GKV ausgegeben, 2020 waren es bereits ca. 2,9 Mrd. €, d.h. die Ausgaben der GKV für Orphan Drugs haben sich innerhalb von zwei Jahren mehr als verdoppelt. Ob diese Ausgaben auch durch einen therapeutischen Nutzen gerechtfertigt sind, ist mangels aussagekräftiger Nachweise vielfach unklar. Ob die Möglichkeit der anwendungsbegleitenden Datenerhebung dazu beitragen wird, aussagekräftige Daten zu erzeugen, bleibt abzuwarten.

Im Spiegelkabinett der europäischen Preise

Bei Arzneimitteln mit unreifer Datenlage und bei Orphan Drugs auch ohne zweckmäßige Vergleichstherapie steht in Frage, ob der Erstattungsbetrag noch nutzenbasiert verhandelt werden kann. In der Praxis richtet sich der deutsche Preis für Orphan Drugs dann häufig – mangels Evidenz – nach den Preisen anderer europäischer Länder. Die tatsächlichen Preise in 15 EU-Ländern sind ein weiteres gesetzliches Kriterium bei Arzneimitteln mit Zusatznutzen im Allgemeinen und stellen sich schon im Normalfall bei einer Verhandlung des Erstattungsbetrages für ein Arzneimittel mit Zusatznutzen als problematisch dar. Ursprünglich hatte das AMNOG das Anliegen das hohe deutsche Preisniveau im Vergleich zu den Preisniveaus anderer europäischer Länder zu senken. Das Kriterium „tatsächliche Preise in 15 EU-Ländern“ führt in der Praxis oft zu Problemen und hat mittlerweile den Effekt einer Erhöhung der Erstattungsbeträge. Denn pharmazeutische Unternehmer lehnen es weitgehend ab, die tatsächlichen Preise für ihr Arzneimittel in anderen europäischen Ländern in den Verhandlungen zu offenbaren. Hierzu müssten beispielsweise dem jeweiligen Gesundheitssystem gewährte Rabatte abgezogen werden. Stattdessen übermitteln sie Preise, die nicht das tatsächliche Preisgefüge in Europa real abbilden und maßgeblich vom pharmazeutischen Unternehmer mitbeeinflusst werden können. Dieses Vorgehen hat zur Folge, dass das deutsche Preisniveau für viele Arzneimittel vermutlich oberhalb des tatsächlichen europäischen Preisgefüges liegt.

Spill-over-Effekte hoher Einstiegspreise

Nach einem Jahrzehnt AMNOG sind bei den Arzneimitteln gegen seltene Leiden problematische Zweitrundeneffekte beobachtbar. Hierzu gehört eine Art „spill over“-Effekt der Zusatznutzenfiktion für Orphan Drugs: Dieser Effekt entsteht, wenn Wirkstoffe zunächst zur Behandlung einer seltenen Erkrankung zugelassen werden, dann aber im Laufe der Zeit die Zulassung des Arzneimittels auf größeren Anwendungsgebiete erweitert wird. Problematisch an so einer Zulassungserweiterungskaskade ist, dass Orphan Drugs häufig mit einem sehr hohen Preis für die seltene Indikation in den Markt einsteigen und häufig der nachfolgend verhandelte Erstattungsbetrag hoch ausfällt, auch mit der Begründung, dass er nur für eine kleine Patientenanzahl greife. Dieses Preisniveau ist dann aber Ausgangspunkt für Verhandlungen von Erstattungsbeträgen in anderen Indikationen mit weitaus mehr Patienten und ggf. anderem, eher niedrigerem Preisniveau.

Ein eindrückliches Beispiel für eine solche Zulassungsreihenfolge ist der Wirkstoff Olaparib. Olaparib wurde zunächst 2014 als Orphan-Arzneimittel zur Behandlung des Eierstock-, Eileiter- und Bauchfellkrebs zugelassen. Es folgten in den Jahren 2018, 2019 und 2020 Zulassungserweiterungen auf weitere Indikationen, darunter Brust-, Bauchspeicheldrüsen- und Prostatakrebs. Der Wirkstoff verlor infolgedessen den Orphan-Drug-Status. Die ersten Verhandlungen führten zu einem Erstattungsbetrag, der zu Therapiekosten in Höhe von 82.740,68 € pro Jahr pro Patientin führte. Da stets nur ein einheitlicher Abgabepreis für ein Arzneimittel gelten kann, musste bei den jeweiligen Zulassungserweiterungen, die zum Teil Zusatznutzen aufwiesen, zum Teil nicht, stets ein Mischpreis gefunden werden. Das jeweilige Preis- bzw. Kostenniveau der übrigen Indikationen lag dabei unter dem Kostenniveau, das durch den ersten Erstattungsbetrag erzeugt wurde. In diese Mischpreise spielte daher der erste Erstattungsbetrag, der ursprünglich für die Indikation eines seltenen Leidens ohne bisherige Therapiealternative gefunden worden war, in erheblichem Maße gesamtpreiserhöhend hinein.

Arzneimittel ohne Zusatznutzen: Keine Mehrausgaben ohne ein Mehr an Nutzen

Nach der ursprünglichen Konzeption des AMNOG waren für neue Arzneimittel ohne Zusatznutzen die Kosten strikt auf die Kosten der bisherigen wirtschaftlichsten Option der zweckmäßigen Vergleichstherapie gedeckelt. Dieses Grundprinzip ist mit dem Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz (AMVSG) im Jahr 2017 aufgegeben worden. Im „begründeten Einzelfall“ darf ein Arzneimittel ohne Zusatznutzen nun auch mehr kosten als die zweckmäßige Vergleichstherapie. Damit wird ein Grundanliegen des AMNOG - keine Mehrkosten ohne ein Mehr an Nutzen - nicht nur relativiert, sondern ausgehebelt. Dies hat darüber hinaus ausgabensteigernde Folgeeffekte in Form von steigenden Preisen für vergleichbare Arzneimittel und steigende Zusatznutzenpreise. Es schwächt die Eignung des AMNOG zur Ausgabendämpfung erheblich und damit zur Sicherstellung der finanziellen Stabilität der GKV beizutragen.

Die ursprüngliche Intention des Gesetzgebers war, dass das AMNOG auch der Begrenzung des Ausgabenanstiegs dienen soll. Vergleicht man zentrale Eckpunkte der Arzneimittelausgaben im AMNOG-Entstehungsjahr 2010 mit solchen des Jahres 2019, zeigt sich, dass das AMNOG den Ausgabenzuwachs im Patentmarkt keineswegs beendet hat. Im Jahr 2010 betrugen die Arzneimittelausgaben in der GKV insgesamt rund 30 Milliarden Euro; im Jahr 2020 beliefen diese sich auf rund 43 Milliarden Euro. D.h. in 10 Jahren sind die Ausgaben der GKV um deutlich mehr als 10 Milliarden gewachsen; relativ somit um 43 Prozent gestiegen.

Betrachtet man den Patentmarkt separat, sieht man, dass dieser der Treiber der Ausgabensteigerung im Gesamtmarkt ist (vgl. AVR 2020, S. 17). Vergleicht man die durchschnittlichen Jahrestherapiekosten der jeweils im Jahr 2010 und 2019 eingeführten Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen betrugen diese im Jahre 2010 34.253 €, im Jahr 2019 beliefen sie sich auf das sechsfache, nämlich 217.313 € (AVR 2020, S. 18, Tab. 1.5). Dies schlägt sich auch in den mittleren DDD-Nettokosten der patentgeschützten Arzneimittel im Vergleich zu den DDD-Kosten der Generika nieder. Während die mittleren DDD-Kosten der Generika 2014 beispielsweise 0,35 € gegenüber mittleren DDD-Nettokosten der patentgeschützten Arzneimittel in Höhe von 4,67 € betrugen, stehen 2019 0,35 € an mittleren DDD-Kosten der Generika mittleren DDD-Nettokosten der patentgeschützten Arzneimittel in Höhe von 7,30 € gegenüber. Kurz: Der Patentmarkt wird seit Jahren immer teurer.

Sinkende Verordnungsmengen an patentgeschützten Arzneimitteln stehen einem so stark steigenden Umsatz gegenüber, dass dies die kostensenkende Verordnungszunahme bei Generika und Biosimilars der letzten Jahre mehr als kompensiert (AVR 2020, S. 18).

Kombinationsarzneimittel: Doppelt hilft nicht immer doppelt so gut

Vom Ausgabenaspekt sind insbesondere Kombinationen von Arzneimitteln ein Faktor der Ausgabenentwicklung: Der kombinierte Einsatz mehrerer Arzneimittel ist mittlerweile fester Bestandteil der Arzneimitteltherapie, insbesondere im Rahmen der Behandlung von Krebserkrankungen. Dabei können Arzneimittel gleichzeitig oder nacheinander kombiniert werden. Die Arzneimittel können dabei explizit laut Fachinformation ausschließlich für den Kombinationseinsatz vorgesehen sein oder aber nach Entscheidung des Arztes frei miteinander kombiniert werden. Für die Krankenkassen summieren sich die Kosten der bereits kostenintensiven Einzelpräparate hin zu immensen Beträgen bei den Kombinationstherapien (Bausch et al. 2016). Dies führt beispielhaft die Ausgabenentwicklung der Pharmakotherapie des Multiplen Myeloms, einer Krebserkrankung des Knochenmarks, eindrücklich vor Augen (siehe Abbildung 3). In diesem Therapiegebiet sind in den letzten Jahren immer mehr Arzneimittel zugelassen worden, die in Kombination mit den bereits vorhandenen angewendet werden.

Es ist nur leider nicht so, dass mit den steigenden Kosten auch eine gleichermaßen starke Zunahme des therapeutischen Nutzens zu verzeichnen ist. Während die Kosten immer stärker steigen, erfahren Patientinnen und Patienten keinen entsprechend angemessenen Zusatznutzengewinn für jedes weitere zusätzlich gegebene Arzneimittel.

Die Abbildung verdeutlicht anhand eines konkreten Beispiels aus demselben Indikationsgebiet, dass der jeweilige Zuwachs an Überlebenszeit bei Kombinationsarzneimitteln nicht in angemessenem Verhältnis zu den hinzutretenden Kosten steht. Die Einnahme des Wirkstoffes Dexamethason führt beispielsweise im Median zu einer Lebenszeitverlängerung von 24 Monaten bei Therapiekosten von rund 200 Euro pro Jahr. 2007 wurde Lenalidomid zugelassen. In Kombination mit Dexamethason überleben Patientinnen und Patienten im medianen Durchschnitt 40 Monate, also 16 Monate bzw. das 1,5-fache länger als mit der Dexamethason-Monotherapie. Kostenpunkt der Kombinationstherapie sind aber nun insgesamt rund 100.500 € pro Jahr, d.h. die Kosten für die Zweifachkombination liegen 50.000 Prozent über denen der Monotherapie. 2016 wurde Elotuzumab zugelassen. Der mediane Zuwachs an Überlebenszeit um 4 Monaten bei der Dreierkombination von Dexamethoson, Lenalidomid und Elotuzumab steht einem Kostenzuwachs um 88.000 € gegenüber (siehe Abbildung 4) und führt damit insgesamt zu Jahrestherapiekosten in Höhe von 188.500 €.

Die Verhandlung von Arzneimitteln, die mit anderen Arzneimitteln kombiniert eingesetzt werden, ist eine Herausforderung und derzeit regulativ nicht hinreichend abgebildet. Um in einer solchen Situation angemessene Preise verhandeln zu können, bedarf es vielmehr zusätzlicher regulatorischer Rahmensetzungen, beispielsweise Vorgaben, wie Verhandlungen ablaufen sollen, wenn die in Kombination zu gebenden Arzneimitteln verschiedener Unternehmer zu verhandeln sind (Mehrparteienverhandlungen) oder eines erhöhten oder speziellen Herstellerabschlags bei Kombinationsarzneimitteln.

AMNOG – Das System muss weiter lernen

Die Bilanz zeigt, dass das AMNOG-Verfahren sich institutionell grundsätzlich in den mittlerweile 10 Jahren seines Bestehens bewährt hat. Deutschland gehört weltweit zu den Ländern, deren Bevölkerung am frühesten und umfänglichsten Zugang zu neu zugelassenen Arzneimitteln hat. Die frühe Nutzenbewertung leistet einen wichtigen Beitrag zur Transparenz und Wissensgenerierung und damit zur qualitativen Verbesserung der Arzneimittelversorgung. Die Preisverhandlungen tragen zu einer Preisdifferenzierung nach Zusatznutzen und auch zur Dämpfung der Ausgaben bei. Sie sind aber in ihrem Effekt die Ausgabensteigerung zu dämpfen immer wieder abgeschwächt worden; hinzu treten immer höhere Einstiegspreise. Das Leistungsversprechen der GKV, Patientinnen und Patienten vollumfänglich ab dem Zeitpunkt der Zulassung mit neuen Arzneimitteln versorgen zu können, zwingt Krankenkassen aufgrund des erst später geltenden Erstattungsbetrages dazu, im ersten Jahr Höchstpreise zu zahlen, die die Unternehmen frei bestimmen können. Mit den eklatant steigenden Ausgaben der letzten Jahre stellt sich die Frage nach der Notwendigkeit einer Nachjustierung des AMNOG immer drängender. Insofern bedarf es einer Fortentwicklung des AMNOG. Dabei sollte eine ausgeglichene Balance zwischen dem Zugang der Patientinnen und Patienten zu neuen Therapieoptionen bei gleichzeitig effizientem Einsatz der finanziellen Ressourcen der Versichertengemeinschaft für nachweislich effektivere Therapien hergestellt werden.

Vertiefende Artikel u.a. aus unserem E-Magazin "90 Prozent"

Dokumente und Links

Kontaktdaten

Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass die Pressestelle nur Anfragen von Journalistinnen und Journalisten beantworten kann. Andere Anfragende benutzen bitte das Kontaktformular.

Presse-Abo

Melden Sie sich an und erhalten Sie unsere Pressemitteilungen regelmäßig per E-Mail.